Die Aufgaben der modernen Museen sind vielfältig wie anspruchsvoll. In einem Gastbeitrag in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT attestierte der deutsche Kulturwissenschaftler Martin Roth kürzlich vielen Museen ein Versagen in der Kulturdiplomatie, ein Wegducken vor der Verantwortung, die darin bestünde moralische und ethische Werte ebenso im Blick zu haben, wie die eigene Sammlung. Dabei „träume [er][…] von einem populären intellektuellen Schwergewicht [und] Anknüpfungspunkte für ein […] kritisch-politisches Denken [gäbe] es in jeder Museumssammlung.“ 1 Diese Notwendigkeit beträfe nicht nur Deutschland, vielmehr sei in ganz Europa ein wachsender Nationalismus spürbar, der mittelfristig auch die Kulturinstitutionen selbst bedroht. 2
Die hoch aktuelle Forderung von Martin Roth, die Museen mögen sich im Sinne von Max Frisch in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen, skizzieren die Notwendigkeit eines mehrdimensionalen Museumsbegriffes und betonen das gesellschaftlich-kulturelle Gewicht dieser Institution. Fraglich bleibt, ob das Museum mit der Vielzahl der Forderungen aus Wissenschaft und Gesellschaft umgehen kann.
Museen sollen klassischer Weise sammeln, forschen, bewahren, vermitteln, sollen dokumentieren und ausstellen. 3 Sollen nach wie vor Devotionalien zeigen und im 21. Jahrhundert natürlich zudem vielfältige Medien nutzen. Sie dürfen weder verstaubt noch multimedial betäubend sein. Sollen beeindrucken, szenografisch-immseriv betören und dürfen doch, sofern sie den Ansprüchen der politischen Bildung im Sinne des Beutelsbacher Konsens genügen wollen, nie eindimensional überwältigen. 4
Neben stillen Orten der Kontemplation, als Kathedralen kultureller Schätze und des Zaubers der Geschichte sollen sie zum Mitmachen anregen, sollen Forum, Werkstatt und Labor sein, in denen hands-on-Exponate im Fokus stehen und Events veranstaltet werden. Sie sollen partizipativ sein, um den digital natives das gemeinsame Erstellen, Teilen und Kommentieren zu ermöglichen, dabei aber nicht überfordern oder gar abschrecken. 5
Sie sollen Gail Dexter Lord zufolge kulturelle Beschleuniger sein, eine Position, die der Forderung von Herrn Roth bereits sehr nahe kommt. Museen sollen Werte vermitteln, zu Hubs der creative economy werden. Diese Funktionszuschreibung als Katalysator ist für sich genommen bereits eine wichtige Erkenntnis und doch können Museen noch mehr leisten und selbst die Initiative ergreifen. Sie sind, darin unterscheiden sich die Autoren nicht, wichtige Akteure in der Zivilgesellschaft 6
Museen sind Akteure der außerschulischen, informellen Bildung, fördern das lebenslange Lernen und zugleich erwarten wir das Angebot von Schnittstellen und Ergänzungen zum Schulunterricht. Wir verlangen einen Spagat, um attraktive Ausstellungen für verschiedenste Zielgruppen zu erhalten.
Museen sollen anlocken, sie bestechen durch grandiose Architektur moderner wie vergangener Epochen, doch zugleich darf die Hülle den Inhalt nicht dominieren. Das Museion, der Tempel der Musen, wird heute oft zu spektakulären Bauten von Stararchitekten, welche ganz im Sinne des Guggenheim Effekts zu Leuchturmprojekten werden und zur kulturellen sowie wirtschaftlichen Rettung ganzer Städte beitragen 7 – und doch bedarf es zugleich einer kleinen vielschichtigen und flächendeckenden Museumslandschaft, gar mobiler, dispers netzwerkartig verteilter Museen und kurzfristiger Pop-up-Ausstellungen. 8
Und nun? Müssen sie eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen, sich positionieren, selbst exponieren, einmischen und streiten. – Die Frage persistiert: überfordern wir das Museum?
Es obliegt verständlicher Weise nicht den Museen alleine, diese Mammutaufgabe zu bewältigen. Vielmehr ist es ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, der sich an Individuen wie Institutionen gleichermaßen richtet. Indes spielen Kulturinstitutionen in zweifacher Hinsicht eine große Rolle. Zum einen müssen sie den Mut haben, sich zu äußern, können ihrer Stimme wie Jedermann Gehör verschaffen, was aufgrund des Bekanntheitsgrades sogar einfacher gelingen kann. Zum anderen – und darüber hinaus – besteht die Möglichkeit in einer Art Agora den benötigten sozialen Raum her- und bereitstellen in denen kommunikativer Austausch als Motor von Zivilgesellschaft und Demokratie gedeihen kann.
Die hier angeschnittenen Aspekte kann kein einzelnes Museum für sich genommen ausfüllen. Eine pluralistische Museumslandschaft wäre wohl der beste Garant dafür, dem Museum als Institution die Chance zu geben, seinen vielfältigen Aufgaben nachzukommen. Sicherlich kennt die Reichweite des Museums auch Grenzen; einen Krieg verhindern kann es, wie Martin Roth feststellt, wohl nicht. Um noch ein weiteres Mal auf ihn zurückzukommen: „Wie großartig aber wäre es […] sollten sich jene zu Wort melden, die […] in der Lage sind, den gesellschaftlichen Diskurs entscheidend zu prägen.“ 9
________________1 Roth, Martin: „Der Traum vom intellektuellen Widerstand“, in: DIE ZEIT, Nr. 42 / 2016, S. 44. ↩
2 Vgl. ebd. ↩
3 Vgl. ICOM Statutes, Art. 2 I, zit. n. Vieregg, Hildegard: „Museumswissenschaften – Eine Einführung“, Paderborn 2006, S.16. ↩
4 Vgl. Sander, Wolfgang: „Geschichte der poltiischen Bildung“, in: Ders. (Hrsg.): „Handbuch politische Bildung“, 4., völlig überarb. Aufl., Schwalbach/Ts. 2014, S.21. ↩
5 Simon, Nina: „Das partizipative Museum“, in: Gesser, Susanne et. al. (Hrsg.): „Das Partizipative Museum – Zwischen Teilhabe und User Generated Content“, Bielefeld 2012, insb. S.94. ↩
6 Vgl. Lord, Gail Dexter: „Museums, Lifelong Learning and Civil Society“, in: John, Hartmut; Dauschek, Anja(Hrsg.): „Museen neu denken – Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit“, Bielefeld 2008, S.69ff. ↩
7 Vgl. Hedgecoe, Guy; Whittle, Helen: „Bilbao’s Guggenheim continues to divide“, URL: www.dw.com/en/bilbaos-guggenheim-continues-to-divide/a-15904659 (abgerufen 28.10.2016) ↩
8 Vgl. Charles Esches Idee des ‚verstreuten Museums‘, hier zit. n. Odding, Arnoud: „Das disruptive Museum als Netzwerk-Museum“, in: Gesser, Susanne et. al. (Hrsg.): „Das partizipative Museum – Zwischen Teilhabe und User Generated Content“, Bielefeld 2008, S. 74-85, hier S.77. ↩
9 Roth, Martin: „Der Traum vom intellektuellen Widerstand“, in: DIE ZEIT, Nr. 42 / 2016, S. 44. ↩