Betrachten wir die politische Kultur einer Gemeinschaft als tragende Säule eines demokratischen Systems, so stellt sich unweigerlich die Frage, ob es möglich erscheint, die Struktur der Säule insofern gezielt zu verändern, dass diese als Stütze der Demokratie versagt. Anders ausgedrückt: Ist es möglich politische Kultur in großem Maße zu instrumentalisieren? Nach Aristoteles waren es die staatsbürgerlichen Tugenden 1, welche das Funktionieren eines demokratischen Systems ermöglichten, also jenes antike Pendant unseres heutigen partizipierenden Staatsbürgers. Der entscheidende Faktor für die Stabilität einer Demokratie ist somit der Bürger, ein Individuum also, welches durchaus beeinflusst werden kann. Dass eine solche Beeinflussung durchaus möglich ist, zeigt das Beispiel der Entwicklung der politischen Kultur in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Während es zu Zeiten der Weimarer Republik nicht gelang eine stabile Demokratie zu etablieren, so erfolgte der Wandel zu einer demokratischen Nation nach dem Zweiten Weltkrieg umso reibungsloser. Das Beispiel der Weimarer Republik erscheint deshalb so interessant, da es zeigt, dass die Etablierung demokratischer Strukturen nur dann möglich ist, wenn die herrschende politische Kultur als tragende Säule zur Verfügung steht. Die Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Monarchie übernommene Untertanenkultur der Deutschen war nicht bereit ein demokratisches System zu tragen. Umso wichtiger war es den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg, eine politische Kultur in Deutschland zu begründen, welche die Wiederherstellung und vor allem die Verfestigung parlamentarischer Demokratie ermöglichen würde. 2 Ziel war die Entwicklung von Staats- und nicht Nationenidentitäten. Durch die gezielte Förderung im Bereich der politischen Bildung, sowohl auf wissenschaftlicher und besonders auf schulischer Ebene, sollte ein Kulturwandel innerhalb der Bevölkerung erreicht werden.
Lässt man andere Einflussfaktoren bei der Betrachtung außen vor, so lässt dieses Beispiel erkennen, dass eine gezielte Veränderung der politischen Kultur eines Landes durchaus möglich erscheint und die Frage nach einer auch heute noch möglichen Instrumentalisierung nicht vollkommen abwegig erscheint. Hierbei müssen natürlich jene Mechanismen betrachtet werden, welche einerseits als Ursachen der Bildung politischer Kultur angesehen werden und somit andererseits auch als Instrumente einer Steuerung der politischen Kultur verstanden werden können. Im Kern geht es dabei um jene Instrumente, welche Wissen und Kenntnisse über politische Sachverhalte, Regeln und Verhältnisse, Gefühle, politische Werthaltungen und Urteile, beeinflussen können. Allgemein anerkannt gelten hierbei die Kindheitssozialisation, die Erziehung, der Medieneinfluss und Erfahrungen im Erwachsenenleben in Wechselwirkung mit den Leistungen der Regierung, der Gesellschaft und der Wirtschaft. Des Weiteren natürlich Ideologien und weltanschauliche Konzepte, welche die Wahrnehmung von Wirklichkeit maßgeblich mitbestimmen. Die Frage ist also, ob eine gezielte, umfassende Einflussnahme in all diesen Bereichen möglich erscheint. Natürlich lässt sich diese Frage in der hier gebotenen Kürze nicht beantworten, jedoch lassen sich verschiedene Beispiele anführen, welche zumindest als Denkanstoß betrachtet werden können. So lässt sich gerade an der italienischen Medienlandschaft verdeutlichen, inwiefern die politischen Eliten die Medien in ihrem Sinne zu Nutzen verstehen und somit maßgeblich die politische Kultur des Landes prägten. Colin Crouch bescheinigt den Medien enormen Einfluss auf die Art wie Menschen Politik leben und erleben 3 und Putnam sieht in ihnen den Grund für das Abklingen zivilen Engagements. 4 Die Medien fungieren hier also als ein Instrument der Entdemokratisierung. Die IEA-Studie von 1994 5 zeigt auf, dass das deutsche Schulsystem maßgeblich daran beteiligt ist, eine politische Kultur zu fördern, welche um das Element der Partizipation beraubt wird. Trotz politischer Bildung auf dem Lehrplan führen die Strukturen der Bildungslandschaft zu einem Rückgang der Bereitschaft zu Partizipation. Schon während der kindlichen Sozialisationsphase findet dieser Aspekt nur geringe Beachtung. Inwiefern es sich bei den Beispielen um gezielte Steuerung oder nicht handelt, spielt vorerst keine Rolle. Ersichtlich wird jedenfalls, dass ein Eingreifen in diese Bereiche das Bild der politischen Kultur maßgeblich zu verändern vermag.
Update 02.11.2013
[PDF zur Diskussion im Seminar]
1 Höffe, Otfried (2001): Aristoteles, Politik: Oldenbourg Akademieverlag, München ↩
2 Detjen, Joachim (2006): Politische Bildung: Geschichte und Gegenwart in Deutschland, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München ↩
3 Crouch, Colin (2008): Postdemokratie, Suhrkamp, Berlin ↩
4 Pickel, Susanne; Pickel, Gert (2006): Politische Kultur- und Demokratieforschung, VS, Wiesbaden ↩
5 Judith Torney-Purta/John Schwille/Jo-Ann Amadeo (1999): Civic Education Across Countries: Twenty-four National Case Studies from the IEA Civic Education Project, Amsterdam 1999; Christa Händle/Detlef Oesterreich/Luitgard Trommer, Aufgaben politischer Bildung in der Sekundarstufe I, Opladen ↩